Warum ich `n tierischen Hals auf die deutsche Version von "Do They Know It's Christmas" hab.
1984. Im Sommer war ich mit meiner Mutter und meiner
Schwester aus Werne-Stockum am Rand des Ruhrgebiets nach Niederense an der
Grenze zum Sauerland gezogen, hab all meine Freunde zurückgelassen, war neu auf
dem Gymnasium und erst mal ziemlich allein auf weiter Flur. War aber nicht
weiter schlimm, neue Freunde hab ich relativ fix gefunden, außerdem hatte ich
meine Carrera-Bahn und mein Atari VCS 2600. Fortan lebten wir in einem schönen
großen Haus mit Garten, mein Zimmer dekorierten gerahmte Schwarz-Weiß-Kopien
aus Geografie-Sachbüchern und eine riesige Disneytapete. Ich liebte Depeche
Mode. Und Duran Duran, Culture
Club, Spandau Ballett, The Police, Tears For Fears, Billy Idol, Madness. Meine
Helden! Mann, hatte ich einen Respekt vor denen, für mich waren das die
allergrößten und allercoolsten. Mit den allertollsten Songs der Welt. Von The
Cure und The Smiths hatte ich noch nichts mitbekommen. Mir gefielen später auch
die Hi-NRG-Produktionen von Stock, Aitken & Waterman, die hatten so einen
schönen Drive und wunderbar harte Basslinien. Konnt‘ ich ja als Kind nicht
ahnen, dass die SA&W-Hitschmiede einzig allein darauf abzielte, Gewinne
einzufahren und mit Musik als Kunstform oder Ausdruck wie auch immer gearteter
Emotionen nichts am Hut hatte. Mir hat’s trotzdem eine Heidenspaß gemacht,
zumal damals trotz allen Mainstream-Kalküls stets eine gewisse Leichtigkeit und
Experimentierfreude mitgeklungen ist, die heut im Schema-F-Funk undenkbar wär. Würd ich
auch nie leugnen, dass mich der Radio-Pop von damals entscheidend geprägt hat,
und auch heute noch leg ich immer wieder gerne auf 80er-Partys auf oder hör die
alten Gassenhauer beim Joggen auf meinem Iphone. Natürlich nicht nur, aber
auch.
Mal Sondocks Hitparade und Formel Eins (mit
Peter Illmann, Ingolf Lück und Stefanie Tücking) waren das Maß aller Dinge. Es
gab sonst so gut wie keine Möglichkeiten, neue Musik zu entdecken. Bravo und
Pop Rocky, ja, die gab’s auch. Irgendwann kam dann „Do They Know It’s Christmas“
in die gute Stube geschwappt. Spitzen Pop-Song. Passte perfekt zu sorglosen Weihnachten
Mitte der 80er, mit seiner kaminfeuer-gewärmten dörflich-verschneiten
Behaglichkeit. Weihnachten hat für Kinder ja eh einen völlig anderen Stellenwert, Weihnachten war das größte! Geschenke gabs ja auch noch. Daran erinnere ich mich jedes Jahr gern zurück, auch ohne
Schnee. Ich bekam mit, dass die Nummer für einen guten Zweck aufgenommen wurde,
um Geld für hungernde Menschen in Äthiopien aufzubringen. Toll, dachte ich. Als
ich das erste Mal das Video zum Song sah, hatte ich bestimmt Gänsehaut, ganz
genau weiß ich das nicht mehr. Ich war auf jeden Fall total aufgeregt, all
meine Stars, da kamen sie zusammen, am Anfang des Clips, im Blitzlichtgewitter,
auf dem Weg ins Studio. Wenn ich groß bin, dann werd ich auch mal Popstar, muss
das schön sein. Und man kann nebenbei auch so viel Gutes tun.
Die erste Strophe beginnt mit Paul Young. Den verehrte ich
zwar nicht so ikonisch, aber cool war der allemal, schließlich war er berühmt.
Dann Boy George. Ich weiß nicht, wie oft in mir im Alter zwischen acht und zehn
das Bedürfnis aufkeimte, gegen meine Erziehungsberechtigten zu rebellieren,
aber wenn, dann würd ich gern so sein wie Boy George. Der war anders, der
machte, was er wollte. Zumindest sah er so aus. Dann Phil Collins. Phil Collins
spielt die Drums. Weiter geht’s mit George Michael, Simon Le Bon übernimmt.
Apropos: Vor zwei Jahren habe ich es mir nicht nehmen lassen, zu Duran Duran in
die Westfalenhalle 2 zu fahren. Na klar, wegen der alten Hits. Ich war alleine
dort, aber hatte Spaß für 60 Euro. Das nebenbei. Simon Le Bon singt „a world outside your window“, Sting gesellt sich dazu, zweistimmig,
“and it’s a world of dread and fear”.
Dann Tony Headley von Spandau Ballett, kurz darauf Bono, ohne blöde
Brille, dafür noch mit Kicker-Matte, und so weiter und so weiter. Hier ist sie,
die Creme de la Creme aller Topstars, die in meinem präpubertären Kosmos von
Bedeutung waren, und dann steigen auch noch die anbetungswürdigen Mädels von
Bananarama, in die wohl jeder heterosexuelle 10-jährige damals ein bisschen verknallt
war, aus einem weißen Golf, um pünktlich beim knapp 2-minütigen Überchorus mit
am Start zu sein. Alle Mann: „Feed the wooooooorld, let them know it’s chistmas
time“. Ganz im Ernst, ganz groß. Wunderschön. Und für mich
untrennbar mit Weihnachten verbunden. Genau wie „Last Christmas“, mach ich gar
keinen Hehl draus.
Vielleicht ist der Song rückblickend auch total cheesy und
doof, das werd ich wohl objektiv nie mehr beurteilen können, aber egal, diese
Nummer ist Teil meiner Biographie. Jedes darauffolgende Jahr, zumindest bis zum
Einsetzen der Pubertät, wo jede persönliche Weltordnung ja ein bisschen aus den
Fugen gerät, gab’s kein Weihnachten ohne diesen Song. Und seit den 90ern auch
wieder. Muss einfach sein, kann man nix machen. Und auch wenn Joe Strummer mal
behauptet hat „It’s the song not the singer“ – „Do They Know It’s Christmas“
hat seine Daseinsberechtigung ausschließlich in der Version von 1984, nur mit
den damals Beteiligten und nur mit dem ursprünglichen Sound. Schon der erste
Neuaufguss von 1989 mit Kylie Minogue, Bros, Chris Rea und trotz abermaligem
Engagement von Bananarama hinterließ bei mir nur ein müdes Schulterzucken.
Alle Jahre wieder passiert das nun leider regelmäßig.
Also, ich hinterfrage hier nicht die Ambitionen des
Charity-Gedankens als solchen. Wenn dadurch humanitäre Krisen wieder in den
Fokus der Öffentlichkeit rücken und geholfen werden kann, dann wunderbar. Ob es
da nicht vielleicht doch elegantere Wege gibt, als einem schönen, alten
Klassiker derlei Gemeinheiten zuzufügen, lass ich mal dahingestellt. Ob Sir Bob
die diesjährige Neuauflage ausschließlich aus ritterlicher Motivation lanciert
oder nur mal wieder etwas frische Presse braucht, auch. Ich reg mich hier nur
gezielt darüber auf, dass einer meiner Lieblingssongs aus den 80ern nun
endgültig einer kulturellen Tragödie anheim gefallen ist. Denn nun gibt es das
gute Stück auch auf deutsch.
Zum 30-jährigen Jubiläum, so der perfide Plan des Herrn
Geldof, sollte es neben der traditionellen englischen Variante, die sich dieses
mal mit dem Ebola-Virus in Westafrika auseinandersetzt, auch jeweils eigene
Versionen für Frankreich und Deutschland geben. Und als hätte man es schon
geahnt, Hauptorganisator für die deutsche Variante ist Andreas Frege, besser
bekannt als Campino, Sänger der Schlagerrockband „Die Toten Hosen“, die früher
mal was mit Punk zu tun hatten, mittlerweile aber nur noch den Soundtrack für CDU-Parteitage
oder promilleselige Provinzvolksfeste liefern dürfen. Laut Campino war es recht
mühsam, die Schar mitwirkungswilliger Barden zusammen zu bekommen, befürchteten
doch einige von ihnen einen Imageschaden. „Hmmm“, könnte man meinen, der Zug
ist doch längst abgefahren. Oder hatte er gar bei international relevanten
deutschen Acts wie Notwist, Kraftwerk oder Rammstein angefragt? Natürlich
nicht, es sind die üblichen Echopreis-erprobten Verdächtigen. Aber, hey, ist
schon in Ordnung, wenn’s doch der Sache dient, könnte man denken. Aber,
verdammt noch mal, das ist nicht in Ordnung. Wenn Campino schon dazu aufruft,
den Song trotzdem zu kaufen, egal ob er einem gefällt oder nicht, wenn sich
quasi schon im Vorfeld, bevor das Ding überhaupt draußen ist, dafür
entschuldigt wird, dass die deutsche Version vielleicht doch nicht so ganz
gelungen ist, nur, damit man den guten Zweck unterstützt, dann ist das schon
bezeichnend. Wenn die deutsche Formatradio-Elite sich versammelt, dann erwarte
ich doch zumindest handwerklich ein gewisses Niveau, auch wenn es mit meinem
privaten Musikgeschmack völlig kollidiert, aber ein gewisses Maß an
Professionalität muss doch drin sein.
Aber mitnichten, hier die ersten Zeilen des Textes, an dem,
man möchte das gar nicht so recht glauben, Thees Uhlmann, Marteria und Campino
bis tief in die Nacht geschraubt haben, mit Anmerkungen:
Endlich wieder
Weihnachtszeit (okay, als Einstieg akzeptabel, weil themenbezogen)
die Nerven liegen so
schön blank (buuuh!! Und dann auch noch der oberdröge Fatzke Poisel)
egal ob’s regnet oder
schneit (Schülerbandlyrikpreisverdächtig!)
wir treffen uns am
Glühweinstand (hach, wie schön…)
Wir vergessen unsere
Nächsten nicht, kaufen all die Läden leer (Quatsch, wie jeder weiß, kauft
man heut im Internet, höhö)
Die ganze Stadt versinkt
heut Nacht im Lichtermeer (bla
bla bla… und Jan Delay beweist endgültig, dass er nicht für 5 Cent singen kann, nicht mal diese
popelige Zeile).
Dann ein unerträglicher Rap-Part.
Dann wieder Pathos und Allgemeinplätze.
Ich vermute, das
Autorenteam von Helene Fischer, so banal und einfältig deren Machwerke auch sein
mögen, hätte da weitaus mehr rausgeholt als die hier Versammelten.
Zugegeben, auch das Original hatte lyrische Aussetzer („where nothing ever grows, no rain, no rivers
flow“), aber die stehen in keinem Verhältnis zu dem hier verbrochenen
Phrasengedresche („Der Tod kennt keine
Feiertage“,“Wir feiern unsere Feste, doch wir sehen nicht wie sie fallen“).
Mein lieber Schollimofski. Der Ur-Song hat zudem eine bemerkenswerte,
pop-untypische Struktur. Intro, Strophe, Strophe, die wie `ne Bridge klingt,
längere Strophe, die wieder wie `ne Bridge klingt, dann tatsächlich `ne Bridge,
dann Hinleitung zum Chorus, der aber nicht kommt, dann C-Part, dann wieder die
Hookzeile, dann geht’s runter und dann der längste Chorus der Welt mit Lifts,
dass es eine wahre Wonne ist. Macht aber alles Sinn und funktioniert als Song,
weil es stetig bergauf geht und alles aus einem Guss kommt. Das deutsche
Pendant plätschert nur im seichtesten Fahrwasser des Originals vor sich hin und
wirkt hilflos zusammengeschustert. Der lahme Beat tut sein übriges.
Das braucht echt keine Sau. Und wo zur Hölle sind eigentlich
Scooter? Warum schreibt man denn keinen eigenen Song? Geldof ruft, alle im
Gänsemarsch hinterher. Muss doch nicht sein. Den neuen Song würd ich mit hundertprozentiger
Sicherheit auch kacke finden, aber das wär ja okay. Wenn der dudelmuckenaffine Durchschnittshörer
dadurch sein Gewissen beruhigen kann und nebenbei ein paar Cent zur Linderung
humanitärer Probleme abzwackt, ist da erst mal nichts dran auszusetzen. Dann
hätte man mit frischem Text auch mal alle
nicht-christlichen Zeitgenossen, die mit Weihnachten nix am Hut haben, mitnehmen
können. Na ja, wie heißt es? Besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht, in
diesem Fall aber wohl auch schlecht geklaut.
Ich appelliere an jeden halbwegs mündigen Musikhörer da
draußen: Bitte kauft diesen Scheißdreck nicht. Spendet lieber direkt an Ärzte
ohne Grenzen, Oxfam, Unicef… whatever, zumal nur ein Teil des Betrags an den Band
Aid Charity Trust geht, den Großteil bekommen Itunes, Amazon, Plattenfirma und
Co!!
Nur mal so am Rande, gibt bestimmt viel wichtigeres. Tschüsskes!
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